Die jährliche Vermittlungsreise «London to go» von Kuverum
Die Reise liefert eine originelle Antwort auf die Frage «Wie soll die Vermittlung mit ihrer ganzen Vielstimmigkeit, ihren Spannungen und ihrem Potential gestaltet werden?». Sie bietet den Teilnehmenden die Möglichkeit, in die Vermittlungsmethoden der Museen und anderer Kulturstätten Londons, das auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle spielt, einzutauchen. Die jährlich stattfindende Reise ist aus einer Reise nach London entstanden, die 2008 mit Unterstützung von Pro Helvetia organisiert wurde, und wird von und → Kuverum, einer von Franziska Dürr gegründeten Organisation, durchgeführt. Es werden zwei Varianten angeboten: eine von → mediamus unterstützte Reise für erfahrene Vermittler und Vermittlerinnen, die andere für Studierende des Lehrgangs. Gestaltet wird die Reise von Kristen Erdmann, die im Kanton Aargau in der Kulturvermittlung tätig ist. Sie legt grossen Wert auf engen Kontakt mit den Londoner «Key Players», der einen aufrichtigen, offenen Austausch ermöglicht. Die an die Gruppenzusammensetzung angepasste Reise weist folgende Merkmale auf:- 15 Teilnehmende aus verschiedenen Vermittlungsbereichen
- 5 intensive Kurstage
- 10 für die Vielfalt ihrer Sammlungen, ihrer Grösse und ihrer Finanzierung ausgewählte Museen, die eine breite Palette an Rahmenbedingungen, Positionierungen, Zielen und Vermittlungspraktiken abdecken
- 12 bis 15 Begegnungen mit Fachleuten verschiedener Orientierungen und Hierarchiestufen
- 5 miteinander kombinierbare Vermittlungsarten:
Marketingnahe Programmgestaltung, Kulturvermittlung, Kunstvermittlung, soziokulturelle und digitale Vermittlung - Programm mit abwechselnden Präsentationen, Diskussionsrunden und Workshops
- Format, in dem der gegenseitige Austausch viel Platz einnimmt, um die unterschiedlichen Ansichten darzulegen, Spannungen aufzudecken und die individuelle Aneignung der Inhalte zu erleichtern
Themselves — go out —
The Wicks they stimulate
If vital Light
Inhere as do the Suns —
Each Age a Lens
Disseminating their
Circumference —
Nicole Grieve ist leitende Kulturvermittlerin des Departements Bildung, Kultur und Sport des Kantons Wallis. Sie hat mediamus mitverwaltet und ist Gründungsmitglied des Schweizerischen Dachverbandes für Kulturvermittlung.
«Das Kunstmuseum ist meine Powerstation geworden»
«Ist Kunstvermittlung eine Kunst?», so lautete der Titel einer Tagung vor Jahrzehnten in Wien. Ja, sie ist es. Kulturvermittlung ist ihrem Wesen nach prozessorientiert, da sie nicht bereits vorhandenes Wissen aufschreibt und vorträgt, sondern die Erkenntnisprozesse erst in der Begegnung mit dem Publikum in Gang kommen.1 Es liegt in der Natur der Sache, dass dieser Austausch nicht für Dritte fassbar ist. Auch wenn es beispielsweise in einem Workshop materielle Ergebnisse gibt, ein gewobenes Stück Stoff, eine Zeichnung oder auch eine einstudierte Theaterszene, so bleiben die wichtigsten Momente ephemer und unsichtbar. Doch es ist wichtig, dass wir Möglichkeiten finden, Kulturvermittlung zu vermitteln – oder können wir auf eine Aussage verzichten wie «Das Kunstmuseum ist meine Powerstation geworden»? Für den kollegialen Austausch braucht es Greifbares. Nicht jeder sollte immer alles neu erfinden müssen. Bewährtes kann in neuen Kontexten immer wieder variiert werden. Dokumentierte Kulturvermittlung inspiriert.2 Dokumentierte Kulturvermittlung liefert ausserdem Argumente für Akteure und ermöglicht, Strukturen zu optimieren. Um Rahmenbedingungen zu verbessern, sollen wir nicht mit Zahlen argumentieren, sondern mit Wirkung auf Menschen.3 Genauso wichtig ist die Dokumentation als Resonanzraum. Beteiligte in Projekten schauen nochmals zurück, machen Besonderes sichtbar, denken weiter, verknüpfen Erkenntnisse mit ihrem Leben und erfahren die Kraft der Gestaltung. Aber wie? Freude, Zweifel, Erleuchtungen sind oft individuell und nicht zur Veröffentlichung gedacht. Erkenntnisse bilden sich erst langsam, oft auch unbewusst. Wie soll das ans Licht kommen und festgehalten werden? Auf der einen Seite können wir die Prozesse in der Kulturvermittlung einfach jedes Mal neu entwickeln und geniessen ohne etwas sichtbar machen zu müssen. Es gibt genug Papier und Pixel. Auf der anderen Seite brauchen wir Spuren. Für mich gibt es nur einen denkbaren Weg: Die Spuren sind ein eigenständiges Element der Kulturvermittlung und nehmen Formen an, die zu Thema, Menschen und Ort passen. Das bedeutet, dass die Dokumentation von Anfang an mitgedacht und mitgestaltet und mit Ressourcen ausgestattet wird. Ich spüre einen riesigen Unterschied, wenn ich dies so mache oder – sehr oft – nicht. Wenn jede/r das Projekt anregend dokumentiert, das ihm/ihr am Herzen liegt, aus welchen Gründen auch immer, dann erhalten wir ein tolles Archiv, das inspiriert und nicht verstopft. Unser junges Berufsfeld der Kulturvermittlung braucht Rückenwind mit anschaulich dokumentierter Kulturvermittlung!Sara Smidt Bill, lebt in Jenaz (GR) und Thun (BE), Leitung Kunstvermittlung am Kunstmuseum Thun; selbständig mit der Firma MuseVM, Beratung und Ausbildung; Co-Präsidentin von → mediamus, Verband der Fachleute für Bildung und Vermittlung im Museum; Dozentin im CAS Museumsarbeit an der HTW Chur.
Theater im Tante-Emma-Laden: Mit theaterpädagogischer Arbeit den Alltag der Menschen erreichen
Theaterpädagogik hat grundsätzlich drei Ausrichtungen: eine Pädagogisierung der Kunsterfahrung (Erziehung durch Theater), eine Didaktik der Kunsterziehung (Erziehung zum Theater) oder eine allgemeine Wahrnehmungserziehung mit «theateraffinen» Mitteln (vgl. Hentschel 2010). Diese Formen der Verknüpfung von Theaterarbeit und Vermittlung können überall stattfinden, wo sich Menschen begegnen, arbeiten oder sich aufhalten. Unter anderem in Theatern. Doch auch auf den Plätzen und Strassen eines Quartiers, in Fabrikhallen, die Zwischennutzungen zur Verfügung stehen, in Schulen, Museen oder in einem Tante-Emma-Laden. Theaterpädagogische Vermittlung setzt den Raum häufig bewusst und gezielt ein, um die Wahrnehmung der Beteiligten gleichsam subversiv anzusprechen und dadurch Reflexion und Erkenntnisse anzuregen. Raum wird somit Teil der methodischen Werkzeuge, zum einen mit dem Ziel, das Gegenüber dazu zu bekommen, dass es aktiv wird. Und zum andern, um eine Brücke zu schlagen, damit ich als Initiantin und Moderatorin des Erkenntnis- oder Wahrnehmungsprozesses mit verschiedensten Personen in einen Dialog treten und unterschiedlichste Gruppierungen zu einem Dialog zu den verschiedensten Themen zusammenführen kann. Wir haben aus Anlass des 25-Jahre-Jubiläums der Theaterfalle unter dem Titel «Schaufalle in Folgen» eine Serie von Projekten durchgeführt, welche die soeben dargestellten Ziele und Methoden illustrieren. Das erste Projekt hiess: «Die Familie lässt bitten».1 Das zweite fand im Kunstmuseum Basel statt und hiess: «Die Bürger von Calais sind los».2 Der Titel «Die Familie lässt bitten» verweist erstens auf die Familie der Menschen, die in diesen 25 Jahren in der Theaterfalle mitgearbeitet haben, zweitens auf die klassische Ausgangslage eines Familienfestes und drittens ist damit der Spielort gemeint: die familiäre Atmosphäre eines Tante-Emma-Ladens in einem Arbeiterquartier, das gerade die Anfänge einer heftigen Gentrifizierung erlebt. Um diese Vielschichtigkeit des Begriffs Familie adäquat zum Erleben zu bringen und Unterhaltung mit Anstössen zu Reflexion und Erkenntnis zu verknüpfen, haben wir eine Vielfalt von Methoden eingesetzt. Das Publikum wurde mit Kopfhörern ausgestattet und konnte mal von aussen, mal von innen den Szenen zuschauen, die teils auf der Strasse, teils im Laden gestaltet wurden, und manchmal wurde es auch direkt ins Geschehen einbezogen. Das erlaubte Wechsel zwischen direktem Beteiligtsein und fast schon voyeuristischem Zuschauen. Die Inszenierung folgte keinem Stück und auch keinem Skript. Ausgangslage und roter Faden für die Inszenierung waren jeweils Themen, wie zum Beispiel die real stattfindende Fussball-Europameisterschaft. Die Spielanlage war, dass ein Mann seine Kumpels zum gemeinsamen Fernsehen eingeladen hat. Statt der Kumpels tauchen deren Frauen auf. Doch es erschienen nicht nur Personen, die wir eingeplant hatten. Publikum und Beteiligte wurden durch Quartierbewohnerinnen und -bewohner erweitert, die spontan und neugierig als Beobachtende oder als Handelnde dazukamen. Diese Wechsel von innen und aussen, von beobachtender zu handelnder Person haben wir zusätzlich gefördert durch ein Kochstudio der etwas anderen Art und dadurch, dass wir die Abende als Sendung im Internetradio übertragen haben. Wir haben also Raum, verschiedenste Medien, Alltagshandeln und Theater-Improvisation verknüpft, um dem beteiligten Publikum neue Sichtweisen auf sich selbst und auf das Quartier zu ermöglichen. Das ist Kulturvermittlung: Mit den Menschen an ihrem Wohnort arbeiten, so dass sie erleben können, dass Theater auch mit ihnen zu tun hat und für sie sein kann. Wir haben einen Lebensraum zur Bühne aufgemacht.Ruth Widmer ist Gründerin und künstlerische Leiterin der → TheaterFalle Basel und Präsidentin des → tps – Fachverband Theaterpädagogik Schweiz.
Vermittlung vermitteln
Die «Vermittlung» der Vermittlung ist für Pro Helvetia in zweifacher Hinsicht von Bedeutung. Als Förderstelle, die in Form von Unterstützungsanfragen Vermittlungsprojekte vorgelegt bekommt. Und als Multiplikatorin, die ihre Erkenntnisse zur Vermittlung an die Praxis zurückspielt. Beide Rollen sind für die Stiftung Entwicklungsbereiche. Denn die Förderung der Kunstvermittlung ist für die Kulturförderung ein relativ neues Gebiet. Mit ihren spezifischen Unterstützungskriterien für Vermittlungsprojekte möchte Pro Helvetia vor allem Formate ermöglichen, die zur Weiterentwicklung der Vermittlungspraxis beitragen. Um der Darstellung dieser neuartigen Projektideen bei der Gesuchseingabe Raum zu geben, sind die Vorgaben für die Projektbeschreibung offen gestaltet. Gleichzeitig sind sie auf Vollständigkeit bedacht. Dieser Spagat führt gelegentlich dazu, dass Gesuchstellende oder Pro Helvetia beim Gegenüber zusätzliche Informationen einholen müssen. Im Dialog kommt es so zu einer gegenseitigen «Vermittlung» von Vermittlungsverständnissen. Vermittlungsprojekte sind prozessorientiert. Ein Einblick in die Umsetzung ist oft aufschlussreicher als die Betrachtung des Resultats. Hier setzen zum Beispiel Projektblogs an, die eine laufend aktualisierte Dokumentation des Projektverlaufs ermöglichen (z. B. → kidswest). Solche Social-Media-Instrumente können zudem der Reichweite des Projekts Vorschub leisten, indem sie bereits zu einem frühen Zeitpunkt Projektbeteiligte und -interessierte miteinander vernetzen und den Kontakt zur Öffentlichkeit suchen. Damit Erkenntnisse aus Projekten für die Weiterentwicklung der Vermittlungsszene nutzbar sind, sieht Pro Helvetia im Evaluations- und Dokumentationsbereich Handlungsbedarf. Auch in diesem Zusammenhang will die Stiftung an das Programm Kulturvermittlung anknüpfen und auf nationaler Ebene mit Praxis und Förderstellen den Wissensaustausch pflegen. Die vorliegende Publikation mit ihren verschiedenen Blickwinkeln ist ein Schritt in diese Richtung. Potential für den Dialog rund um Vermittlungswissen weisen zudem die Internetseite → www.kultur-vermittlung.ch und der neu gegründete Verein Kulturvermittlung Schweiz auf.Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Vermittlung von Pro Helvetia war im Rahmen des Programms Kulturvermittlung für die Entwicklung der Förderkriterien zuständig.