Die Qualität entscheidet
Wann ist Kulturvermittlung «gut»? Mit welchen Kriterien kann man Qualität in der Kultur messen? Für die Stiftung Mercator Schweiz sind diese Fragen sehr wichtig: Fördergelder sollen dort eingesetzt werden, wo sie viel bewirken, Impulse setzen und positive Beispiele schaffen. Damit dies möglich ist, müssen die Projekte qualitativ hochwertig sein. Zu beurteilen, ob ein Projekt «gut» ist, ist anspruchsvoll. Für die Stiftung Mercator Schweiz sind hier drei Kriterien zentral:Passung zur Strategie
Die Stiftung unterstützt Projekte, welche die Bedeutung von kultureller Bildung und Vermittlung in der Gesellschaft stärken. Die Stiftung möchte Kindern und Jugendlichen Begegnungen mit Kulturinstitutionen und Kunstschaffenden ermöglichen, um Berührungsängste mit den Künsten und ihren Institutionen abzubauen. Die jungen Teilnehmer sollen verschiedene Künste aktiv ausprobieren und entdecken können.Hochstehende Projektqualität
Der Antragssteller muss kompetent, die Konzeption inhaltlich stimmig, die Budgetierung angemessen und die Evaluation aussagekräftig geplant sein. Zudem sollte das Projekt auf einen Bedarf treffen.Angemessene Projektziele
Nicht nur quantitative Ziele wie eine bestimmte Anzahl von Teilnehmenden, durchgeführten Aktivitäten und so weiter sind interessant, sondern vor allem auch die Wirkungen bei den Zielgruppen. Ein wichtiges Ziel ist die Zufriedenheit der Kinder, aber auch der beteiligten Lehrer und der Künstler. Interne und externe Evaluationen geben wertvolle Hinweise dazu. Neben diesen Kriterien setzt die Stiftung bei der Beurteilung von kulturellen Projekten auf Gutachten von Experten. Zugleich unterstützen Leitfäden (z. B. Perrot, Wodiunig 2008) die Arbeit der Projektmanager. Sehr wichtig ist der Austausch mit Projektpartnern, mit anderen Förderstiftungen und mit Verantwortlichen von Projekten, die ähnliche Ziele wie die Stiftung verfolgen. Das fördert das gegenseitige Lernen – und das ist ein wichtiger Aspekt in der kulturellen Bildung. Denn Qualitätsbeurteilung, die Frage nach «guter» Kulturvermittlung, ist ein Prozess, der stetig und gemeinsam mit anderen weiterentwickelt werden muss.Regula von Büren ist Projektmanagerin bei der Stiftung Mercator Schweiz. Sie leitet den Bereich «Mensch und Umwelt» und ist zudem im Bereich «Kinder und Jugendliche» für das Handlungsfeld «kulturelle Bildung» verantwortlich.
MUS-E: Förderung von und durch Kunst und Kultur in der Schule
Das Projekt → MUS-E® integriert Künste unterschiedlichster Sparten (wie Theater, Tanz, Musik, bildende Kunst oder Film) in den Schulalltag. Individuell auf die Bedürfnisse und Rahmenbedingungen einer Schulklasse zugeschnittene Projekte werden jeweils über zwei Jahre hinweg während wöchentlich zwei Lektionen durchgeführt. Jedes einzelne Projekt innerhalb des Programms MUS-E® wird in Absprache mit den Lehrpersonen und Kunstschaffenden individuell konzipiert. Die Kunstschaffenden bringen ihre künstlerische Kompetenz ein, die Lehrpersonen beteiligen sich mit ihrer pädagogischen Fachkompetenz. Hauptziel aller Projekte ist die soziale, emotionale und körperliche Sensibilisierung von Kindern über das Medium Kunst und Kultur im Rahmen einer ganzheitlichen Bildung. Schülerinnen und Schüler sollen mithilfe der Künste sich selbst und die Umwelt besser verstehen lernen sowie ihre Fähigkeiten und Stärken entdecken und weiterentwickeln. Durch die im Programm MUS-E® wechselnden Kunstsparten bekommen alle Kinder die Chance, ihren eigenen, individuellen Ausdruck in den Künsten zu entdecken und ihren individuellen Zugang zu Kultur zu eröffnen. Kunst ist dabei die Sprache, die über Grenzen hinweg verstanden wird und es allen Kindern ermöglicht, kreativ mit den Anforderungen einer globalisierten Welt umzugehen. Eine offene, imaginative und kreative Haltung aller Beteiligten soll den Kindern helfen, den Wert der Künste als Sprache und die damit verbundenen Ausdrucksmöglichkeiten zu erschliessen. MUS-E® arbeitet mit unterschiedlichen Institutionen zusammen, um die Wirkung von künstlerischen Projekten mit aktuellen Forschungsansätzen zu belegen. Der gemeinnützige Verein «MUS-E Schweiz/Fürstentum Liechtenstein» fördert die Verbreitung von MUS-E® in Verbindung mit der «International Yehudi Menuhin Foundation» in Brüssel, der Dachorganisation aller nationalen MUS-E Koordinationen. MUS-E® ist ein Programm, das in seiner Ganzheitlichkeit heute vielen tausend Kindern in Europa und Israel eine Türe zu Kunst, Kultur und Kreativität öffnet. Es erreicht im Vergleich mit anderen Kunstprogrammen an Schulen nicht zuletzt durch die Dauer der einzelnen Projekte eine sehr gute Nachhaltigkeit.Dr. Reto Luder ist Lehrer und Sonderpädagoge. Er hat Sonderpädagogik und Psychopathologie studiert und arbeitet als Dozent für Sonderpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Reto Luder ist Vorstandsmitglied des Vereins MUS-E Schweiz/Liechtenstein.
Wenn Qualität Luxus ist
Die Tanzvermittlung in der Schweiz verfügt bei Weitem nicht über die nötigen Rahmenbedingungen, um eine qualitativ hochwertige Vermittlung zu garantieren. Nur wenige Einrichtungen haben Vermittler oder Vermittlungsprogramme. Es fehlt an einer entsprechenden Ausbildung und die Vermittler bekunden Mühe, die nötige Unterstützung für die Umsetzung oder die Entwicklung ihrer Aktivitäten zu finden. In einem Land, in dem der Beruf des Tänzers erst 2009 anerkannt wurde, ist und bleibt die Vermittlung nebensächlich. Es gibt viele Baustellen, wo die Bedingungen für den künstlerischen Schaffensprozess verbessert werden sollen. Die Verbindung zwischen Werk und Zielgruppen ist in aller Munde, bleibt aber ein schwierig zu erreichendes Ziel. Genau aus diesem Grund wurden die Plattformen für Tanzvermittlung eingeführt. Durch die Zusammenführung der Einrichtungen, Vermittler und Partner in ein- und demselben Raum können dank der Plattformen bestehende Vermittlungstätigkeiten koordiniert, Ressourcen und Kompetenzen identifiziert, die Verbreitung von bestehenden Projekten gefördert, zu neuen angeregt und ihre Qualität verbessert werden. Dass mit diesem Instrument Resultate erzielt werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Es ermöglicht den Austausch, die Präsentation und die Anpassung von Vermittlungsprojekten an verschiedene Kontexte. Eine der wesentlichen Problemstellungen der Tanzvermittlung löst es allerdings nicht: Tanzen ist eine vergängliche Kunst. Während die Werke in Museen wochen- oder monatelang ausgestellt werden, ist die darstellende Kunst in ein paar Tagen vorüber. In einem System, in dem die Amortisierung der Investitionen ein entscheidendes Kriterium darstellt, ist die Ausarbeitung von vollständigen, kohärenten und hochwertigen Vermittlungsprojekten rund um das Werk eines Kunstschaffenden ein Luxus, den sich der Tanz nur viel zu selten leisten kann.Murielle Perritaz ist Geschäftsleiterin von Reso – Réseau Danse Suisse – und arbeitet als Managerin einer Tanztruppe in verschiedenen Tanzbereichen. Ausserdem ist sie Mitarbeiterin von Pro Helvetia und Programmgestalterin im Zürcher Theaterhaus Gessnerallee.
Kulturvermittlung macht glücklich
An der Tagung von mediamus im September 2012 in Lenzburg zum Thema «Stellenwert und Handlungsspielräume von Vermittlung im Museum» verwies Gottfried Fliedl (Gründer und Leiter der Museumsakademie Museologie des Joanneums in Graz) auf den Artikel 1 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die der französischen Verfassung von 1793 vorangestellt ist: «Das Ziel der Gesellschaft ist das allgemeine Glück.» Sofern das gesellschaftspolitische Ziel von Kulturvermittlung die Demokratisierung ist, gefördert durch die Bildung mündiger Bürger_innen, die über eine breite Palette von Ausdrucksmöglichkeiten verfügen, innovativ denken und handeln können und sich an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens beteiligen, dient (gute) Kulturvermittlung letztlich der Steigerung des Bruttosozialglücks. Jigme Singye Wangchuck, einst König von Bhutan, prägte diesen Begriff 1979, als er zu einem Journalisten sagte: «Gross National Happiness is more important than Gross National Product.» Nebst einer sozial gerechten wirtschaftlichen Entwicklung, dem Schutz der Natur und guter Staatsführung soll der Schutz der Kultur, insbesondere die Stärkung kultureller Werte, zu einer mitfühlenden, freien und glücklichen Gesellschaft führen, in der die Kultur weiter gedeihen kann. Es ist eine Kunst, in weniger demokratischen als vielmehr altgedient ehrwürdigen, stark hierarchischen und von «Gärtleindenken» geprägten Kulturinstitutionen einen dekonstruktiven oder gar transformativen Ansatz von Vermittlung zu praktizieren, welcher dem Demokratisierungsprozess förderlich ist. Erst wenn es gelingt, dass die ganze Institution die Vermittlung vereinnahmt (nicht von der Vermittlung vereinnahmt wird!), ist die Basis für gute und glücklich machende Kulturvermittlung geschaffen. Wenn das nicht gelingt, hilft nur noch: «Raus aus dem Museum, (dem Theater, den Konzertsälen ...) und sich auf riskante, innovative, organisatorisch wie inhaltlich und strategisch neue Projekte, Ziele und Kooperationen einlassen [...]» (Fliedl 2012). Der Weltbericht «Bildung für alle» 2011 der UNESCO nennt folgende vier Kriterien als entscheidend für die Qualität von Bildung:1. Die Lehrkraft
2. Die tatsächliche Unterrichtszeit
3. Die zentrale Bedeutung der ersten Schuljahre
4. Die Ausstattung. Auf die Qualität glücklich machender Kulturvermittlung übertragen benötigen wir:
1. Kompetente und selbstbewusste Vermittler_innen.
2. Gute Arbeitsbedingungen, insbesondere Handlungsspielraum und den entscheidenden Platz im Organigramm.
3. Fokus auf verschiedenste Zielgruppen (kulturelle Bildung für alle).
4. Ressourcen (Personal, Budget, Raum, Zeit). So machen glückliche Kulturvermittler_innen die Nutzer_innen glücklich.
Gallus Staubli ist Lehrer, Leiter Bildung & Vermittlung im Museum für Kommunikation in Bern, Co-Präsident von mediamus und Vorstandsmitglied des Dachverbands Kulturvermittlung Schweiz.
Gute Kulturvermittlung: Ein Zusammenspiel künstlerischer und fachlicher Qualität
Die Qualität eines Vermittlungsprojektes zeigt sich durch einen gelungenen Prozess, bei dem sowohl künstlerische als auch vermittlungsfachliche Faktoren dahingehend zusammenspielen, dass ein neues Ganzes entsteht. Auch wenn das, was am Ende präsentiert wird, vielleicht nicht immer künstlerisch überzeugt, kann der Weg dahin dennoch erfolgreich und das Projekt gelungen sein, abhängig von der jeweiligen Zielsetzung. Die fachliche Vermittlungsqualität misst sich für Pro Helvetia anhand des eingereichten Konzeptes sowie an der ausgewiesenen Erfahrung der Vermittlerinnen und Vermittler. Das Konzept soll unter anderem darüber Auskunft geben, in welcher Form die Teilnehmenden Raum erhalten, um eigene Entscheidungen, Erfahrungen und Wissen in das Projekt einzubringen. Für eine qualitative Einschätzung steht dabei im Vordergrund, dass Zielgruppe, Wirkungsziele und Vermittlungsmethodik reflektiert gewählt und aufeinander abgestimmt sind. Den Anspruch an die rein künstlerischen Inhalte gewichtet Pro Helvetia bei einem überzeugenden Vermittlungsansatz anders als bei einem Kunstprojekt. So kann zum Beispiel ein Musikvermittlungsprojekt vom künstlerischen und vom vermittlerischen Zusammenspiel her überzeugen, obwohl in dessen Zentrum ein Werk steht, dessen Aufführung alleine die Stiftung nicht unterstützen würde. Im überzeugenden Ineinandergreifen von künstlerischer und vermittlungsfachlicher Qualität liegt ein Qualitätsmerkmal gelungener Vermittlung. Die Vermittlungsförderung hat beide Aspekte gleichermassen zu berücksichtigen.Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Vermittlung von Pro Helvetia war im Rahmen des Programms Kulturvermittlung für die Entwicklung der Förderkriterien zuständig.