Rundum Kulturvermittlung
Die Aufmerksamkeit, die Kulturvermittlung erfährt, ist positiv zu vermerken und trägt gleichsam zur Vermittlung bei. Neue Berufsfelder haben sich etabliert, verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung, Berufsverbände haben sich formiert, mittels vorliegender Forschungsergebnisse und vorhandener Finanzierungsmöglichkeiten lassen sich zukünftig auch die Arbeitsbedingungen der Kulturvermittelnden verbessern und vielleicht sogar das Ehrenamt wirksam einsetzen – die Errungenschaften sind zahlreich und beachtlich. Wer kulturell interessiert ist, kann aus einer Fülle von Vermittlungsangeboten auswählen. Jede Sparte hat inzwischen ihre eigenen Vermittlungsexpert_innen, die Vermittler_innen haben ihre Rolle im Kulturbereich gefestigt, das Verhältnis von Vermittelnden zu Konsumierenden ist ansehnlich. Spätestens hier sollten neben der Genugtuung über das Erreichte auch Zweifel Platz haben, ob das in die richtige Richtung geht. Glaubt man den Erhebungen, dass sich mit steigendem Kulturangebot nicht die absolute Zahl der Kulturinteressierten erhöhe, sondern bei den bereits Interessierten die Zahl der genutzten Angebote steige, führt die Investition in die Kulturvermittlung in erster Linie zu einer Kompetenzerweiterung des «Fachpublikums». Das ist nicht per se negativ, eignet sich aber kaum zur Begründung der mit der Kulturvermittlung implizierten kulturpolitischen Anliegen. Aus der stetig wachsenden Zahl von Kulturveranstaltungen, Kulturschaffenden und Institutionen lässt sich schliessen, dass aktive Kulturtätigkeit attraktiver ist als konsumierende. Von daher wie auch vom Grundgedanken der Vermittlung her sind diejenigen Ansätze der Kulturvermittlung weiter zu vertiefen, die die Trennung von «Produzierenden» und «Konsumierenden», von Lehrenden und Lernenden aufweichen und offene Austauschbeziehungen ermöglichen. Ich plädiere hier neben der professionellen und ausdifferenzierten Kulturvermittlung für die Beachtung und Inwertsetzung der alltäglichen und wirkungsvollen Kulturvermittlung: von allen, die durch ein kulturelles Werk oder eine Produktion angeregt sind und dies in irgendeiner Form in ihrem unmittelbaren Umfeld kundtun und anderen einen Zugang ermöglichen.Margrit Bürer, dipl. Sozialpädagogin, Supervisorin BSA, Executive MBA HSG. Seit 2006 ist sie Kulturbeauftrage von Appenzell Ausserrhoden. Von 1982–1994 war sie als freiberufliche Filmerin und von 1995–2006 in verschiedenen Funktionen bei der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia tätig.
Vermittlung – ein Spagat
In den letzten 20 Jahren haben viele Kulturinstitutionen realisiert, wie wichtig die Vermittlung ist. Eine Ausstellung, ein Museum, ein kultureller Anlass braucht vor allem beim ersten Besuch eine Einladung oder eine Begleitung. So ist zu beobachten, dass immer mehr Museen und andere Kulturinstitutionen Kunstvermittlungsangebote ausschreiben und damit sowohl das Stamm- als auch neues Publikum ansprechen. Doch wer vermittelt? Wer kann Brücken bauen? Dient ein Geschichtsstudium oder eine pädagogische Ausbildung, um etwa in einem historischen Museum in der Vermittlung zu arbeiten? Ist eine Weiterbildung im Bereich Vermittlung dienlich, oder braucht es gar noch eine Ausbildung im Marketing? Vermittlungsarbeit heisst, sich ein Angebot auszudenken, dieses in die Praxis umzusetzen und dann wieder zu überprüfen und zu reflektieren. Die Herausforderungen beginnen weit im Vorfeld: Wie erfahren neue Besuchende vom Angebot, und wie soll es gestaltet sein, damit Besuchende nicht passiv konsumieren, sondern zu Akteuren werden, welche sich substantiell beteiligen, so dass ihre Begegnung mit der Kultur zu einem persönlichen Erlebnis wird? Neben Fachwissen und pädagogischem Geschick benötigen Kulturvermittelnde Innovationskraft für neue Herangehensweisen. Sie brauchen Durchsetzungsvermögen, Beharrlichkeit und Geschick, um Neues in bestehende Strukturen einbringen zu können. Kulturvermittlung machen heisst auch, sich für Rahmenbedingungen einzusetzen, die eine nachhaltige Entwicklung der Vermittlung ermöglichen. Denn die Vermittlung braucht Raum, Budget und Aufmerksamkeit, um etwas Bleibendes aufbauen zu können. Sowohl Sicherheit im Fach und Gewandtheit in der Art der Vermittlung sind notwendig. Kulturvermittelnde müssen Interesse an Menschen und gleichzeitig an der Kultur haben. Ihr Hintergrund ist die Verbundenheit mit der Kultur durch eigenes Kunst- und Kulturschaffen und somit eine vertiefte Kenntnis in der zu vermittelnden Sparte. Zudem braucht es pädagogisches Wissen und Geschick, gestützt auf eine Ausbildung oder eigene Erfahrung. Erst mit dieser zweifachen Anbindung sind Kulturvermittelnde prädestiniert, Gastgebende zu sein und neues Publikum einzuladen, Brücken zu bauen und Türen zur Kultur zu öffnen. Eigeninitiative sowie fundierte Berufs- und Lebenserfahrung sind zudem wichtige Schlüssel für eine erfolgreiche Laufbahn.Franziska Dürr ist Leiterin der Kunstvermittlung des Aargauer Kunsthauses und des Lehrgangs für Kulturvermittlung «Kuverum».
Das Museo Vincenzo Vela und die Kulturvermittlung
Jede Ausstellung, sei sie permanent oder temporär, ist für sich ein Akt der Kulturvermittlung. Indem die Kuratorin/der Kurator Objekte oder Kunstwerke zusammenstellt und in einer bestimmten Ordnung Inhalte präsentiert, übermittelt sie/er eine Vision, einen roten Faden und eine Interpretation, die das Publikum so weit wie möglich mit einbeziehen sollten, um es an einem bereichernden und anregenden Dialog teilhaben zu lassen. Wenn dieser Akt des Zeigens und Vermittelns von Inhalten überdies an einem Ort stattfindet, der einst ein Künstlerhaus, Wohnhaus und Privatmuseum war, dann erhält er eine zusätzliche Relevanz und eine klare Legitimation. Das Museo Vincenzo Vela ist eines der wenigen dem Bund unterstellten Museen auf Schweizer Boden, auf die das zutrifft. Es gehört zu den originellsten europäischen Künstlerhäusern des neunzehnten Jahrhunderts und wurde vom Tessiner Bildhauer Vincenzo Vela (1820–1891) entworfen, der vor allem während der Zeit des italienischen Risorgimento als Bildhauer und Verfechter der Ideale der Einigungsbewegung aktiv war. Seit der Wiedereröffnung des Museums nach einer wichtigen Renovierung und Umstrukturierung (1997–2001) hat die Museumsleitung, sich der oben genannten Prämissen wohl bewusst, die Kulturvermittlung zu einem ihrer Hauptanliegen gemacht. 2001 gründete sie einen Kulturvermittlungsdienst, der als Motor für die ganze Region dient und in einem offenen Dialog mit dieser seine Angebote von Saison zu Saison für unterschiedliche Publikumsgruppen erweitert. Wir haben mit den Lehrern verschiedener Schulen ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, indem wir Gesprächsrunden organisierten und dabei unsere Absichten klar darlegten: eine museale Kulturvermittlung, die nicht als Verlängerung des Schulunterrichts, sondern als alternativer und/oder komplementärer Lernprozess verstanden werden will, an dem alle Sinne beteiligt sind. Die positiven Erfahrungen mit den Schulen haben uns veranlasst, den Annäherungsprozess des Museums an das Publikum auf weitere interessierte Besuchergruppen auszudehnen. Dank der Mitarbeit von Fachleuten auf anderen Gebieten sowie von Besucherinnen und Besuchern, die sich als «Botschafter» des Museums engagieren, haben wir im Laufe der Jahre Aktivitäten für Blinde, Behinderte (auch Schwerbehinderte) und seit fünf Jahren für Asylbewerber entwickelt. Gerade die Tatsache, dass wir über eine ganz charakteristische und ungewöhnliche Dauerausstellung verfügen, hat uns erlaubt, Projekte zu verwirklichen, die nicht nur die künstlerische Erfahrung, sondern genauso ernsthaft eine historische Betrachtung sowie eine Annäherung an die Psychologie und andere humanistische Disziplinen miteinbeziehen. Doch auch die Musik ist inzwischen ein wichtiger Bestandteil unseres Vermittlungskonzepts. Regelmässige musikalische Anlässe regen ein interessiertes Publikum zu einer neuen Museumserfahrung an und bieten die Gelegenheit zur Reflexion über die Begegnung zwischen verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen und ihre Unterschiede. Und auch das Theater, genauso wie die Bildhauerei ein «plastisches» Ausdrucksmittel – das eine in Bewegung, das andere statisch –, hat einen festen Platz in unserem Angebot. Eine sachgerechte Kulturvermittlung, die dies alles möglich macht, gründet meiner Meinung nach auf einigen wesentlichen Prinzipien: einem grosszügigen, feinfühligen Empfang des Publikums, einer ernsthaften Annäherung an die vorgeschlagenen Themen, einem aufmerksamen Ohr für die Ansprüche und Bedürfnisse des Publikums sowie die Fähigkeit, die Dauerausstellungen immer wieder neu zu interpretieren und neugierig und phantasievoll an sie heranzugehen auf einem Weg, der in der Vergangenheit verhaftet, gleichzeitig aber in die Zukunft gerichtet ist.Gianna A. Mina leitet seit 1992 das Museo Vincenzo Vela in Ligornetto. Sie hat von 2007 bis 2011 die deutsche UNESCO-Kommission geleitet, ist Vorstandsmitglied des Verbands der Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker in der Schweiz und seit 2012 Präsidentin des VMS (Verband Museen der Schweiz).
Kulturvermittlung als Indikator für kulturpolitische Qualität?
Indem Kulturvermittlung sich als eigenständige kulturelle und künstlerische Praxis etabliert hat, ist sie Teil des Kulturförderungssystems geworden, das sie gleichzeitig aufmischt und hinterfragt. Der Stellenwert, den sie in den verschiedenen kulturellen Bereichen einnimmt, ist deshalb ein wertvoller Anhaltspunkt für die Reaktivität der Politik und ihre Fähigkeit, eine neue Aufgabe kohärent zu positionieren. In Europa kann die Kulturvermittlung auf eine lange Geschichte zurückblicken, in der Schweiz wurde sie jedoch erst spät institutionalisiert. Während sie in Frankreich nach wie vor an eine politische Vision (die Demokratisierung des Publikums) geknüpft ist, ist sie bei uns Teil pragmatischerer oder gar utilitaristischerer Überlegungen: Nach der Entwicklung angebotsgebundener Förderinstrumente zur Unterstützung von Institutionen und Kulturschaffenden stehen jetzt Angebote für eine breitere Öffentlichkeit im Fokus. Im heutigen ängstlichen politischen Klima stellt sich die Frage, an wen sich das subventionierte Kulturangebot richten soll. Kulturvermittlung wird da zuweilen als Antwort auf alle Fragen missbraucht. Die Vermittlung als Förderinstrument wirft stichhaltige Fragen auf, die viel über die Art aussagen, wie sich Kultur organisiert und wie sich die politische Praxis versteht. Fast alle Institutionen, Kunstschaffenden und Verbände betreiben Kulturvermittlung und sorgen für ein reichhaltiges Angebot, das vom Publikum aber nicht immer wahrgenommen wird. Grund dafür sind unzureichend koordinierte Werbeaktionen, Doppelspurigkeiten und uneinheitliche Zielgruppen. Trotz des äusserst professionellen Einsatzes zahlreicher Akteure und Institutionen setzt sich die Vision einer Vermittlung als Dienst an der Bevölkerung – und nicht länger als Summe von kurzfristigen Einzelaktionen – nur langsam durch. Wie soll eine Vermittlung betrieben werden, die entsprechend ihrer eigentlichen Vorgabe auf die Zielgruppen ausgerichtet und nicht abhängig vom Kunstbereich entwickelt wird? Wie sollen die verschiedenen Visionen der Künstler- und Kulturorganisationen mit einem Vorgehen vereinbart werden, das die stadtgeografischen und soziokulturellen Eigenheiten berücksichtigt? Die Vermittlung als neue Form etablierter kultureller und künstlerischer Intervention kann als Herausforderung betrachtet werden, das Zusammenspiel des Kultursystems zu überdenken: Wie können die spartenübergreifenden Kompetenzzentren mit den bestehenden Institutionen koordiniert werden? Wie sollen die verschiedenen künstlerischen Kräfte und Eigenheiten gebündelt werden, um sie in den Dienst der Bevölkerung zu stellen? Die Vermittlung löst durch ihre Besonderheit eine interessante Dynamik im Kultursystem aus. Die Antworten des Gemeinwesens geben deshalb Aufschluss über seine Reaktivität.Dr. Anne-Catherine Sutermeister, Dozentin FH, Leiterin des Institut de recherche en art et en design – Haute école d’art et de design de Genève.