Wie wird vermittelt – am Beispiel des Programms «Kultur macht Schule»
Das Programm → Kultur macht Schule pflegt ein breit verzweigtes Netzwerk zwischen Schulen, Künstler_innen und Institutionen. Den interessierten Schulen steht eine Angebotspalette zur Verfügung, die den direkten Kontakt mit Kunst- und Kulturschaffenden ins Zentrum stellt. Künstlerische Inhalte sollen sowohl diskutiert und reflektiert als auch mitgestaltet und weiterentwickelt werden können. Dabei gelangen Formate zur Anwendung, die die Beteiligungsgrade Rezeption (Besuch von Theatervorstellungen, Konzerten, literarischen Veranstaltungen), Interaktion (Führungen im Rahmen der Kunst- oder Geschichtsvermittlung) wie auch Partizipation (z.B. Atelierbesuche, Workshops, Projektarbeiten mit Künstler_innen) zulassen. Bei der ersten Buchung entscheiden sich Lehrpersonen häufig für rezeptive oder interaktive Angebotsformate. Wird die Auseinandersetzung mit der künstlerischen Praxis vertieft, bevorzugen die Schulen partizipative Angebote oder buchen sogenannte Kombipakete (z.B. interaktive Führung im Kunsthaus mit anschliessendem Atelierbesuch im Kunstvermittlungsatelier oder Workshop zur Inszenierung mit anschliessendem Vorstellungsbesuch im Theater). Mit zunehmendem Interesse realisieren Schulen Partnerprojekte mit Einzelkünstlern oder kulturellen Institutionen. Diese mittel- oder langfristigen Kooperationen bieten den Beteiligten besondere Partizipationsmöglichkeiten. Künstlerresidenzen in Schulen ermöglichen den Einblick in zeitgenössisches Kunst- und Kulturschaffen und die Partizipation am künstlerischen Prozess. Bei diesem Format entwickeln die Schüler_innen eigene Gestaltungsmöglichkeiten und werden in ihrem kreativen Ausdruck gestärkt. Sie erfahren die Wirksamkeit des eigenen Handelns, Denkens und Fühlens und entwickeln neue Sichtweisen. Lehrpersonen profitieren von künstlerischen Arbeitsprozessen, sie lernen neue Methoden kennen und erhalten Anregungen, wie künstlerische Inhalte in den Schulalltag einfliessen können. Kreative Impulse aus der Zusammenarbeit mit Künstler_innen können aufgenommen werden und tragen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung bei. Spezifische Einführungs- und Weiterbildungsmodule unterstützen den Einbezug der Lehrpersonen in die Vermittlungsarbeit. Auch in diesem Bereich werden die verschiedenen Beteiligungsgrade und Lernkonzepte durch die konkrete Auseinandersetzung mit der künstlerischen Praxis erlebbar gemacht. Bestärkt durch die bisherigen Erfahrungen sollen die bestehenden Angebote qualitativ weiterentwickelt werden, dabei werden insbesondere partizipative Ansätze gefördert.Gunhild Hamer ist Leiterin der Fachstelle Kulturvermittlung und des Programms «Kultur macht Schule» im Departement Bildung, Kultur und Sport Kanton Aargau und Regisseurin mit professionellen und nicht professionellen Darstellenden.
Musikkollegium Winterthur
Die Konzeption interessanter, künstlerisch hochwertiger und abwechslungsreicher Konzertprogramme ist das Eine – die Vermittlung dieser Vielfalt von Musik das Andere. Gerade sie hat beim Musikkollegium Winterthur eine grosse Tradition. Auf verschiedensten Ebenen werden regelmässig die unterschiedlichsten Publikumssegmente angesprochen. Das beginnt beim unentgeltlichen Besuch von Generalproben für Mitglieder des Musikkollegiums Winterthur: Solche Einblicke in die «Werkstatt» eines Orchesters schärfen Gehör und Verständnis für die Musik. Besonders wichtig sind unsere Jugendprojekte. In «Meet the Orchestra», «Orchester hautnah», «Orchesterlabor» und weiteren, mehrmals pro Jahr durchgeführten Veranstaltungen werden Kinder und Jugendliche spielerisch in die Welt der klassischen Musik und ihrer Instrumente eingeführt. Höhepunkt all dieser Angebote ist das riesige, bereits zum zweiten Mal höchst erfolgreich realisierte Projekt «Winterthur schreibt eine Oper». 750 Kinder und Jugendliche waren über Monate involviert, schrieben das Libretto, komponierten die Musik, zeichneten die Bühnenbilder und führten die Oper – im Orchestergraben unterstützt vom Musikkollegium Winterthur – auch selber auf. Hier, wo junge Menschen selbst kreativ werden und zu musizieren beginnen, gelingt sozusagen die ideale Form von Musikvermittlung. Daneben bieten wir auch die «klassischen» Formen von Musikvermittlung an. Vor dem Konzert jeweils mit einem informativen Programmheft, und nach einigen ausgewählten Konzerten mit unserem «Red Sofa», einer Gesprächsrunde, zu der sich Zuhörer jeweils spontan auf dem Konzertpodium versammeln und mit dem Dirigenten und dem Solisten des Abends sowohl ihre Meinungen austauschen als auch ihre Fragen erörtern. Musikvermittlung hautnah am Puls des künstlerischen Geschehens. Mittlerweile bietet das Musikkollegium Winterthur sozusagen für jede Art von (auch potentieller) Zuhörerschaft, ob jung oder älter, eine eigene, je spezifische Form von Musikvermittlung an – vom treuen Stamm- bis zum künftigen Wunschpublikum, von Schulen über Familien bis zu Firmen. Gerade der sogeannte Kundenanlass, also Musikvermittlung für ausgewählte Firmen, wo Menschen zwischen dreissig und sechzig zusammenkommen, die normalerweise kaum ins klassische Konzert gehen, wird in der Musikvermittlung oft unterschätzt. Hier ergänzen sich einführende Worte zum Konzert, Begegnungen mit den Künstlern und ein Blick hinter die Kulissen zu einem hautnahen Klassik-Erlebnis.Thomas Pfiffner ist Direktor des Musikkollegiums Winterthur, Vize-Präsident der Fondation SUISA und Programmleiter des Meisterzyklus Bern.
Projekt kidswest.ch – Ein Kunst- und Kulturprozess im Soziokontext
→ kidswest.ch ist eine offene Kunst- und Kulturwerkstatt, die für alle Kinder und Jugendlichen von 5 bis 16 Jahren in Bern West unentgeltlich zugänglich ist. Einmal wöchentlich treffen sich Kinder verschiedener Nationalitäten – fast alle stammen aus minderbemittelten Migrationsfamilien –, um gemeinsam Kunst und Kultur zu erleben und zu gestalten. Öffentliche Auftritte finden an Wochenenden und in den Ferien statt, zum Beispiel beim kkj.ch, im Kunstmuseum Bern oder an den Aktionswochen gegen Rassismus der Stadt Bern. Eine Kerngruppe von aktuell 12 Kindern kommt seit mehreren Jahren regelmässig ins kidswest, andere kommen für ein bis zwei Jahre, ein paar Wochen oder auch nur an einem Tag. Da die Kunstwerkstätten offen durchgeführt werden, verändern sich die Gruppenformationen laufend. Aufgrund von sporadisch ermittelten Prioritätenlisten zu Themen, Techniken oder Ausdrucksformen plane ich mit den Kids Projekte oder Aktionen. Je nach den ermittelten Bedürfnissen (und vorhandenen Finanzen) lade ich manchmal auch weitere Kunstschaffende oder Studierende ein, die dann mit den Kids ein Projekt gemeinsam entwickeln und umsetzen. Es steht nie das Endprodukt im Vordergrund, sondern immer das gemeinsame Erleben und Gestalten. Wenn eine Idee oder ein Vorhaben vorliegt, können die Kinder entscheiden, ob und wie sie in diesem Projekt mitmachen wollen. Wenn sich die Kids entscheiden, eine tragende Funktion zu übernehmen, ist ihre Teilnahme während des Projekts obligatorisch, zum Beispiel wenn sie eine Rolle in einem Theaterprojekt oder für ein Referat übernehmen. Meistens arbeiten auch die Kinder, die nicht fest beteiligt sind, in der Projektgruppe mit, sie können aber auch eigene Arbeiten zum aktuellen Thema machen, wenn sie lieber für sich alleine arbeiten möchten. Die aktuellen Interessen der Kids werden in sporadischen «Postkarten-Runden» miteinander erörtert. Jedes Kind erhält eine leere Postkarte, auf der es ein eigenes Thema oder eine Projektidee aufschreibt oder zeichnet. Danach gehen die Karten im Kreis herum und die Kinder notieren ihre eigenen Gedanken dazu. Schliesslich liest jedes Kind die zusammengekommenen Einträge auf seiner Karte vor. Nach der Diskussion wählen die Kinder, welche Themen sie am meisten interessieren. Vieles entwickelt sich auch spontan aus gemeinsamen Erlebnissen heraus oder durch gegenseitiges Befragen in Begegnungen mit Dritten. Auf der gegenwärtigen Prioritätenliste stehen folgende Themen: Geschichten erfinden und gestalten, Bilder malen, Theater spielen.Meris Schüpbach ist seit 1981 freie Kunst- und Kulturschaffende im Soziokontext. 2012 erhielt sie den dritten Preis für Vermittlung visueller Kunst in der Schweiz des Schweizer Kunstvereins und von visarte.schweiz.
Vermittlung vermitteln
Der Studiengang Trans, Vermittlung und Lehre an der Hochschule für Kunst und Design (HEAD) in Genf, verfolgt das Ziel, gesellschaftlich engagierte Künstler und Autoren mit dem Bewusstsein für politische und soziale Zusammenhänge auszubilden, die in der Lage sind, neue, auf ihren eigenen künstlerischen Erfahrungen und ihrer Position als Kunstschaffende aufbauende Formen der Übermittlung zu erfinden. Im konkreten Bereich der Kulturvermittlung bildet der Studiengang Trans Studierende im Hinblick auf Forschung und Entwicklung aus. Begegnungen mit den Berufskreisen und die Umsetzung von Projekten in Partnerschaft mit Kultureinrichtungen sind deshalb von grundlegender Bedeutung. Sie fördern das Lernen, die Aktualisierung und die Entstehung neuer Interventionsformen. Die Studierenden bekommen keine Methoden und Rezepte geliefert, vielmehr werden sie mit konkreten Situationen und Fragen konfrontiert, wie zum Beispiel: Wie soll ein Stand für das Theater von Carouge am Weihnachtsmarkt aussehen und welches Programm soll er bieten? Wie können Besucher des Festivals Les Urbaines in Lausanne dazu gebracht werden, von einem Ausstellungsort zum nächsten zu gehen? Mit welchen Spielen können die Werke im Mamco in Genf oder im Museum für Gegenwartskunst des Val de Marne einem jungen Publikum näher gebracht werden? Wie lässt sich eine Bushaltestelle am Festival Art-Chêne gestalten, an der die Passanten zum Mitmachen aufgefordert werden? Was könnte älteren Hobby-Künstlern in einem Sozialzentrum angeboten werden, damit sie sich malerisch ausdrücken können? Wie soll im öffentlichen Raum mit Passanten und den Werken von Thomas Huber interagiert werden? Engagierte Gemeinschaftsarbeiten reihen sich in unterschiedliche Kontexte ein und richten sich an verschiedene Bevölkerungsgruppen, je nachdem, ob es sich um lokale Massnahmen oder um Aktionen auf internationaler Ebene, um einfache Projekte oder um institutionelle Partnerschaften handelt. Sie bilden in der Realität des Tätigkeitsfelds von Trans verwurzelte Formen der Aktionsforschung. Theoretische Ansätze aus verschiedenen Denkdisziplinen und die Praxisarbeit sind im Bestreben gemeinsamer Überlegungen, die sich aus den Wechselbeziehungen dieser beiden Dimensionen ergeben, ineinander verflochten. Während zahlreiche Entscheidungsträger für eine Modellierung bewährter Aktionen plädieren, gehen wir den entgegengesetzten Weg: Wir bilden die Studierenden von Trans aus, innovativ zu sein und teilen diesbezüglich die von Carmen Mörsch in der Zeitschrift «Passagen» geäusserte Auffassung: «Kulturvermittlung ermöglicht – und das ist meines Erachtens ihre wichtigste und unersetzliche Funktion – Räume für eine widerständige kulturelle Praxis, jenseits von elitären Enklaven des Kunstgenusses und populistischen Strategien der Publikumserweiterung.»Claude-Hubert Tatot ist Kunsthistoriker, Koordinator des Masters Trans, Vermittlung und Lehre an der Hochschule für Kunst und Design (HEAD) in Genf, Chefredaktor der an Kinder gerichteten Gratiszeitschrift «Start» für zeitgenössische Kunst.
Kulturvermittlung als Austausch auf Augenhöhe
Die Projekte zur Kulturvermittlung, die Pro Helvetia unterstützt, sind dadurch gekennzeichnet, dass zwischen den beteiligten Parteien ein «Austausch auf Augenhöhe» stattfindet – ein Austausch ohne vorgegebene Hierarchien, in dessen Rahmen sich alle Partner gleichberechtigt äussern dürfen, die Verantwortung gemeinsam tragen und einander Gehör schenken. Die Stiftung strebt eine Art der Vermittlung an, die nicht auf die ausschliesslich in eine Richtung verlaufende Weitergabe von Wissen durch eine Fachperson an Einzelne oder eine Gruppe setzt, sondern vielmehr auf einer Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren beruht und dabei deren spezifische Erfahrungen und Kenntnisse miteinbezieht. Alle Parteien sollen Unterrichtende und Lernende zugleich sein, wobei sie nicht unbedingt dasselbe unterrichten oder lernen müssen. Eine solche Beziehung auf Augenhöhe kann zum Beispiel entstehen, wenn eine kulturelle Institution über das blosse Anbieten von Inhalten hinaus zusätzlich eine aktive Rolle als Vermittlerin einnimmt. So bemüht sich etwa das Théâtre Vidy-Lausanne, Blinden und Sehbehinderten den Zugang zum Theater zu erleichtern, indem es ihnen Live-Audiodeskriptionen anbietet sowie Treffen zwischen Regisseur und Publikum veranstaltet. Auf diese Weise können sehende und blinde Zuschauer ein Stück gemeinsam erleben, was wiederum dem Regisseur und dem Theater einen neuen, bereichernden Blick auf ihre Arbeit eröffnet. Beim Projekt «Schulhausroman» verfassen die Schülerinnen und Schüler einer Klasse mit Unterstützung eines Schriftstellers eine zur Veröffentlichung bestimmte Erzählung. Dabei werden die Jugendlichen natürlich vom Autor beeinflusst und bereichert, was jedoch umgekehrt ebenso der Fall ist, lernt doch der Schriftsteller durch diesen Austausch neue Gedanken- und Sprachwelten kennen, die in der einen oder anderen Form in seine künftige Arbeit einfliessen werden. Neben der eigentlichen Zielgruppe – der Schulklasse – und dem Autor kann zudem auch die Schule als Ganzes von dieser Erfahrung profitieren. Durch die Unterstützung derartig gestalteter Projekte will Pro Helvetia dazu beitragen, dass der Verbreitung und Vermittlung von Kultur mehr Aufmerksamkeit geschenkt und dabei insbesondere die Interaktion zwischen den beteiligten Akteuren ins Zentrum gestellt wird.Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Vermittlung von Pro Helvetia war im Rahmen des Programms Kulturvermittlung für die Entwicklung der Förderkriterien zuständig.